Wer Visionen hat… Klimacamp und Sommerschule im Rheinland

Maike und Maria vom Kooperativ waren für 3 Tage Teil der degrowth Sommerschule. Gemeinsam mit Kathrin von Ecapio Video haben sie Vorträge und Interviews gefilmt. Das an die Sommerschule anschließende Klimacamp endet am 29. August.

Foto: ecapio

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Geisterdorf am Abbauschlot

Unser Navi führt uns direkt nach Immerath. Zweigeschossige Klinkerbauten drängen sich dicht an dicht den Straßenrand entlang. Fast alle halten sie ihre Augen lückenlos mit Jalousien verschlossen. Sie hätten auch nichts zu beobachten. Kein Mensch auf der Straße, kein Auto auf dem Asphalt. Irritiert von dem „Durchfahrt von 17-06 Uhr verboten“ Schild am Ortseingang, fahren wir durch die Geisterstadt. Von den zig Häusern sehen nur zwei so aus, als lebten noch Menschen hinter den Mauern. Kurz vor der Kante der riesigen Baggergrube des Tagebaus von der Größe des Tempelhofer Felds, stoppt uns der Sicherheitsdienst. In ihrem Rücken die Polizei. „Wir müssen ihr Kennzeichen notieren.“ Dank der ungeteilten und uniformierten Aufmerksamkeit ganz sicher ums Herz, wenden wir und landen schließlich im Klimacamp, 2 Kilometer weiter, in Lützerath.

Sommerschule in Lüzerath

Plattes Land, großindustriell geprägte Ackerflächen, weiter Horizont, durchbrochen von Windrädern und Schornsteinrauch. Auf einem der Äcker schlängeln sich Autoreihen die Rübenbeete entlang. Weniger als 100 Autos für mehr als 800 Menschen – im Vergleich zu vielen anderen Großevents und Festivals ein passabler Schlüssel und doch ein erstes Zeichen dafür, dass Verzicht selbst in öko-sensibilisierten Kreisen schwer fällt. Die meisten Aktivist*innen sind mit Fahrrad- und Autoshuttle und Rädern angereist. Geschlafen wird in Zelten auf Wiesen am Rand des Veranstaltungsplatzes, der von weißen Workshop-Zelten, dem Küchennzelt, einem Zirkuszelt für große Veranstaltungen und der Bar eingerahmt wird. „Verzichtet“ wird auf wassergespülte Toiletten, Kühlschränke im Dauerbetrieb, großflächige Stromversorgung und Fleisch- und Milchprodukte in den gemeinsamen Mahlzeiten.

350.org

Foto: 350.org

Auf das gute Leben für alle

Es ist die Rhetorik des Verzichts, die immer wieder Diskussionen um einen zukunftsfähigen Umgang mit unserer Welt durchzieht. Wieso ist es das Weglassen von, das negative Konzept des Entbehrenmüssens, mit dem wir versuchen Menschen für Solidarität, Gemeinwohl und Ökologie zu begeistern und anzustecken? Ist es nicht das gute Leben für alle, auf das wir uns, egal welche ideologische Strömung wir vertreten, als gemeinsames Ziel einigen können? Es ist dieses „gut“, dass es im öffentlichen Diskurs und indivuduellen Denken zu besetzen gilt. Umweltverträgliche Trockentoiletten, eine kollektiv getragene Infrastruktur, gemeinsame Mahlzeiten, ein Tag mit Gras unter den Füßen und Sonne im Gesicht, Bewegung auf zwei Rädern ohne Stau, DIY Solarstrom und -Duschen, bedürfnisorientiertes Arbeiten an Themen des Wandels und Tanzen unter Sternenhimmel – keine*r der Anwesenden würde für dieses Leben im achtsamen Umgang mit Natur und Mitmenschen und einen stark zusammengeschrumpften CO2-Fußabdruck auf die Idee kommen von Verzicht zu sprechen.

Wer Visionen hat…

Wer Visionen hat sollte zum Arzt gehen, hat Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt vor einigen Jahren Richtung Medien geraunzt. Wer an eine Zukunft glaubt, sollte eine Utopie im Gepäck haben, sagen die Aktivist*innen im Rheinland. Immer ein paar Schritte voraus, ist die Utopie das Bild, für das es sich zu kämpfen lohnt. Dabei sollten Spaß und das eigene Wohlgefühl nicht auf der Strecke bleiben, denn neben einer Idee von dem Anderen braucht es viel Geduld und unsere Saat von heute wird unter Umständen nicht mehr von uns, sondern von den nachfolgenden Generationen geerntet. Es ist das Bild von einem guten Leben für alle, mit dem wir uns und andere zum Umdenken und Umlenken begeistern können. Um der Utopie erste Formen und Farben zu verleihen, können wir Alternativen ausprobieren, Ideen teilen, weiterentwickeln und weitertragen und mit den vielen Geschichten des Gelingens, die es bereits zu erzählen gibt, Wurzeln schlagen in den Köpfen und Vorgärten unserer Gesellschaft.

Den Blog der degrowth Sommerschule findet ihr hier: http://www.degrowth.de/de/sommerschule-2016/

Unsere über 30 Veranstaltungen rund um gelebte Visionen und motivierende Utopien hier: www.bbb.wandelwoche.org/touren

Die Videos von ecapio gibt es demnächst hier zu sehen: https://www.facebook.com/EcapioVideos