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Begegnung von Theorie und Praxis im Feld der Solidarischen Ökonomie

15. September 2017 um 15:00 - 16:30

Im Anschluss: ab 17 Uhr fand der Vortrag von S. Charusheela und Colin Danby „Decentering race class and gender – Thinking beyond capitalism and economy“ (Englisch) statt / details here.

Wie kann das theoretische und praktische Wissen im Bereich der solidarischen Ökonomie besser sichtbar gemacht und unter Beteiligung diverser Akteure weiterentwickelt werden?

Entsprechende Ansätze und Freiräume der Wissensproduktion müssen auf mindestens zwei Ebenen ansetzen: Erstens, auf der Ebene der kollaborativen Forschungspraxis, um die jeweiligen Ausgangspunkte, Bedürfnisse und Prioritäten besser zu verstehen und in Einklang bringen zu können. Zweitens gilt es, Prinzipien der solidarischen Ökonomie in den Hochschulen stärker zu verankern, den Zugang zu Wissen als Gemeingut/commons zu sichern und der Marginalisierung dieses Forschungsgebiets innerhalb des Wissenschaftsbetriebs entgegenzuwirken.

Am Fallbeispiel des „Prinzessinnengarten“ tauschen sich Alice Watanabe (Studentin, Humboldt Universität zu Berlin), Esra Erdem (Professorin für Sozialökonomie, Alice Salomon Hochschule Berlin) und Marco Clausen (Geschäftsführer des Prinzessinnengartens) unter der Gesprächsführung von Bastian Ronge (wissenschaftlicher Mitarbeiter, Humboldt Universität zu Berlin) mit Teilnehmenden der Wandelwoche über Herausforderungen und Chancen bei der Begegnung von Theorie und Praxis im Feld der solidarischen Ökonomie aus.

Das Beitragsbild ist entstanden im Rahmen eines Illustrations-Workshop, in dem wir versucht haben das Konzept des Solidarischen Direkthandels zu übersetzen in leichte Sprache und ansprechende Illustrationen. Mehr Informationen folgen, Design: Gisa Schramm. 


Teilnehmendenbericht

Wie können sich Theorie und Praxis, Wissenschaft und Aktivismus im Feld der Solidarischen Ökonomie ergänzen, inspirieren und gemeinsam weiterentwickeln? Wie lassen sich die teils sehr unterschiedlichen Logiken und Erkenntnisinteressen von Forschung und Praxis miteinander vermitteln, so dass sie sich gegenseitig bereichern statt aneinander vorbeizureden? Wie müsste sich etwa die Wissenschaft verändern, um praxis- und gesellschaftsrelevanter zu werden? Und nicht zuletzt: was kann getan werden, damit die Anliegen solidarischer Ökonomie nicht mehr nur ein Dasein in der wissenschaftlichen und politischen Nische fristen?

Diese und andere Fragen diskutierten ca. 15 Teilnehmende der Wandelwochenveranstaltung an diesem Nachmittag zusammen mit Esra Erdem (Professorin an der Alice Salomon Hochschule Berlin), Alice Watanabe (Studentin an der Humboldt Uni) und Marco Clausen (Geschäftsführer des Prinzessinnengartens). Moderiert wurde die kleine Runde von Bastian Ronge (wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HU und Teil der ILA-Werkstatt).

Die Schwierigkeiten – darin waren sich die Diskutierenden einig – beginnen bereits beim Reden über Ökonomie. Vor allem im Mainstream der Wirtschaftswissenschaften gibt es keine Konzepte jenseits von Modellen individueller Kosten-Nutzen-Kalküle, die ökonomische Praxen und Aushandlungsprozesse angemessen beschreiben und erklären können. Es gilt deshalb, Konzepte und Begriffe stark zu machen, die das Soziale und Intersubjektive, mentale Infrastrukuren sowie die kulturelle Einbettung von Ökonomie und letztlich auch ihren politischen Charakter zum Ausgangspunkt nehmen. Wir diskutierten auch über die Schwierigkeit und den Zwiespalt, zugleich Begriff zu finden, die einerseits anschlussfähig sind und andererseits widerständig bleiben.

Für einen konstruktiven und kritischen Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis ist es darüber hinaus zentral, partizipative Forschungsmethoden (weiter)zuentwickeln, Forschungsfragen in enger Abstimmung mit den Initiativen aus der Praxis zu erarbeiten und wechselseitige Bedarfe und Erwartungen zu klären.
Urbane Gärten sind ein Thema, das seit einiger Zeit auf großes Interesse stößt. Gerade beim Prinzessinnengarten fragen viele Forscher*innen an. Das sei einerseits natürlich sehr positiv, meint Marco Clausen, führe aber mitunter auch dazu, dass viele Zeitressourcen der ehrenamtlich tätigen Gärtner*innen in die Betreuung der Arbeiten oder die Bereitstellung von Informationen fließe, ohne dass umgekehrt immer gewährleitet sei, dass die Arbeiten auch für Garten einen Erkenntnisgewinn bieten. Der Garten hat deshalb zusammen mit der anstiftung ein Praxisblatt für studentische/wissenschaftliche Arbeiten entwickelt, um sicherzustellen, dass diese Praxisforschung für beide Seiten von Nutzen ist. Voraussetzung für das Forschen im Garten ist es bspw., mindestens 3 Monate mitzugärtnern und Teil des Projektes zu werden statt es nur ‚von außen‘ zu ‚beforschen‘.

Über solche konkreten Vereinbarungen im Kleinen hinaus sind es aber v.a. auch Strukturen und Zwänge des Wissenschaftsbetriebes selbst, die ein Umdenken und Umsteuern erfordern. Viele Forschungsarbeiten werden für die Schublade, für Leistungsscheine, Credit Points oder aus Publikationszwang geschrieben und verschwinden irgendwo in der wissenschaftlichen Ökonomie, die selbst relativ geschlossen bleibt und sich teils wenig an den Bedarfen und Fragen der Praxis orientiert. Notwendig ist es, den Druck aus dem Wissenschaftssystem zu nehmen, um eine andere, praxisnahe und praxisrelevantere Forschung zu ermöglichen. Forschung und Studiengänge – gerade auch in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften – müssten praxisorientierter angelegt werden. In der konkreten Arbeit im Garten zeigt sich denn auch häufig, dass die klassischen Hierarchien zwischen Ausbildung und Studium, FH und Uni, praxisorientierterem und theoriegeleiteterem Lernen keine Berechtigung haben und hinterfragt werden müssen.

Der Prinzessinnengarten geht das ganz konkret an: er hat 2015 eine Nachbarschaftsakademie gegründet als einen Ort selbstorganisierten Lernens und partizipativen Forschens mit Workshops, öffentlichen Gesprächen, Filmabenden, künstlerischen Arbeiten und gemeinsamem Kochen. Die Akademie ist offen für alle und entsteht gewissermaßen erst durch die derjenigen, die sich an ihr beteiligen. Sie will v.a. auch Austausch und Vernetzung von verschiedenen Initiativen und Themen rund um Solidarisches Wirtschaften, Commons, Recht auf Stadt, Stadt-Land-Beziehungen anregen und ermöglichen. In diesen Bewegungen und Kämpfen wird ein enormes Wissen produziert. Diese kollektive Wissensproduktion aus der Praxis ist jedoch nicht als Ersatz zum wissenschaftlichen Wissen gedacht, sondern als ein wichtiges Korrektiv.

Insgesamt hat der Nachmittag im Kleinen, am konkreten Beispiel Prinzessinnengarten, viele große Fragen aufgeworfen und deutlich gemacht, dass es auf dem Feld des Theorie-Praxis-Dialogs noch viele Baustellen, aber auch spannende und engagierte Ansätze für praxisorientierte Forschung und Wissensaustausch gibt.
Vielen Dank an alle Beteiligten für diesen inspirierenden Nachmittag!

Details

Datum:
15. September 2017
Zeit:
15:00 - 16:30
Veranstaltungskategorien:
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Veranstaltungsort

Prinzessinnengarten Moritzplatz
Prinzenstr. 35 – 38 / Prinzessinnenstr. 15
Berlin, Berlin 10969 Deutschland